Gemüse des Monats

Wir befinden uns ja in Wirklichkeit in einem Paradies, im wunderbaren Reich der
Hamburger Landwirtschaft, und daher möchte ich hier und jetzt einer verstorbenen
Königin dieser Lande ein Denkmal setzen. Sie hieß Maria und hat bis weit in ihre 80er-
Jahre Gemüse aus den Vierlanden auf dem Wochenmarkt verkauft: „Sie wollen
Drillinge von mir?“ Maria kichert, wiegt kleine Kartoffeln (Drillinge) ab, tütet Grünkohl
ein und wundert sich still und leise darüber, dass manche Birnen reintun, andere
Smoothies draus machen.
In Hamburg und in Schleswig-Holstein gibt es zur Grünkohlplatte Bauchspeck,
Kohlwurst und Kasseler – und „süße Kartoffeln“, mit Zucker gebraten. Der Grünkohl
soll ursprünglich im Mittelmeerraum zu Hause gewesen sein, ist aber inzwischen fest
in norddeutscher Hand. In den Küstenländern ist frau und man sich uneinig über die
Zubereitung – jede Region schwört auf ihre Version, vor allem bei den Beilagen. Für
den Bremer ist der Pinkel unverzichtbar. Im Bremisch-Niedersächsischen Wörterbuch
findet man die Erklärung: Pinkel heißt der Mastdarm des geschlachteten Rindes, den
man mit roher Hafergrütze, Zwiebeln und Gewürzen füllte. Der Grünkohl heißt bei den
Bremern Braunkohl, weil in einigen Gegenden früher anstelle des heute üblichen
Grünkohls der ähnliche, aber etwas bräunliche Langkohl (auch Krauskohl oder
Winterkohl) angebaut wurde. Der Hannoveraner besteht auf Brägenwurst
(ursprünglich aus Schweinefleisch mit einem Anteil von Hirn) und kocht auch gerne
Birnen in seinem Grünkohl mit, wodurch das Gemüse etwas lieblicher wird. Auch die
Ostfriesen haben ihren Eigensinn, sie essen zum Grünkohl Mettwurst.
In Holstein holt man für sechs Personen drei Kilogramm Grünkohl, wäscht ihn, lässt ihn
abtropfen, schneidet ihn in Streifen und blanchiert ihn in reichlich Salzwasser, lässt ihn
abtropfen und hackt ihn klein. Das braucht seine Zeit. Man dünstet ein halbes Pfund
Zwiebeln in Schweineschmalz, wendet den Grünkohl darin, würzt mit Salz, begießt mit
einem Liter Wasser und lässt das Ganze bis zu zwei Stunden bei milder Hitze
schmoren. In der letzten Stunde gart man 600 Gramm Schweinebacke und 600
Gramm Kasseler mit Knochen mit, in der letzten halben Stunde sechs Kochwürste.
Inzwischen wird ein Kilogramm sehr kleine Kartoffeln (Drillinge) gekocht, abgegossen,
gepellt – auch das dauert seine Zeit. Man lässt die Drillinge nebeneinander liegend kalt
werden. Sie müssen gut abdampfen können, und die Oberfläche muss ganz trocken
sein. Man erhitzt Butterschmalz oder Schweineschmalz in zwei großen Pfannen, brät
die Kartoffeln unter häufigem Rütteln darin rundum goldbraun, salzt sie, bestreut sie
mit Zucker und karamellisiert sie leicht. Das Fleisch wird in Scheiben geschnitten und
mit den Würsten auf dem Kohl angerichtet.
Viele Bayern und Württemberger, Badener und Hessen lehnen Grünkohlgerichte
schlichtweg ab – es sei denn, der US-amerikanische Trend, aus dem vitaminreichen
Gemüse einen grünen Saft zu pressen – einen Smoothie – hat dort Fuß gefasst. Für
Veganer wie für Fleischesser ist Grünkohl ein unglaublich gesundes Gemüse. Und soll
mit seiner einmaligen Nährstoffzusammensetzung aus antioxidativ wirkenden
Vitaminen, Mineralstoffen, Ballaststoffen, Aminosäuren und sekundären
Pflanzenstoffen eine ausgewogene und gesundheitsfördernde Alternative zu
tierischem Eiweiß sein. In einer alten Inschrift heißt es: „Der liebe Gott erschuf den
Winter und den Grünkohl als Mittel dagegen“.
Und nun folgt ein weiterer Beweis, dass norddeutsche Küche auch ohne
Schweinebacke geht und dazu ein Vorwort aus einem alten Kochbuch: „Viele setzen
immer noch Kochkunst mit vielen Zutaten, mit Raffinesse, mit Verschwendung gleich.
Das Gegenteil ist der Fall. Wer mit geringen Mitteln, ja selbst mit der einfachen
Hausmannskost nicht bloß den Zweck der Sättigung erfüllt, ist der wahre Meister.
Wohlgeschmack, Genuss und Wohlbefinden sollte das Ziel jeder Küche sein. Vor allem
bei Suppen muss man darauf achten, dass das Wasser kaum sieden darf, damit die
verschiedenen Teile, die nach und nach aufgelöst werden, sich vollständig und ohne
 
Unruhe vereinigen können.“ Zur veganen dicken Grünkohlsuppe vereinigen wir in aller
Ruhe 1 1/4 Kilo Grünkohl, abgestreift, mehrmals gewaschen, in zwei Portionen
tropfnass im Kochtopf erhitzt – aber nicht gekocht – grob oder fein zerkleinert; ein
halbes Pfund Kartoffeln, geschält, gewaschen und in Würfel geschnitten; zwei
Zwiebeln, geschält und in Würfel geschnitten; 150 Gramm eingeweichte Hafergrütze;
½ Liter Gemüsebrühe; Nelken, Salz, Zimt, Senf: Wir geben auf den Boden des
Kochtopfs einen guten Schuss Bratöl und schichten abwechselnd Kartoffeln, Kohl und
Grütze ein, geben Zwiebeln, ganze Nelken, Salz zu, gießen die Brühe an, lassen das
Ganze eine gute Stunde lang „kaum sieden“ (siehe oben) und schmecken mit Muskat,
Zimt und Senf ab.
Und noch ein wichtiges Grünkohldate: Am kommenden Montag findet in Friesland das
traditionelle Biikebrennen statt. Wenn das Feuer abgebrannt ist, gibt es obligatorisch
Grünkohl.
Bei so einem richtigen Grünkohlessen kommt ja außer Schnaps nix zum Nachtisch auf
den Tisch, bei uns ein wenig Naturwissen: Brassica oleracea var. acephala gibt es in
dunkelgrünen, silbrig-blauen und violetten Sorten. Das Gewächs mit fein gekräuselten
Blättern an langen, harten Stielen taucht im 16. Jahrhundert erstmals in hiesigen
Kräuterbüchern auf.
Während der industriell verarbeitete Grünkohl schon ab September geerntet wird,
lässt sich die SoLawi Vierlande Zeit. Zum Glück!
Zwar stimmt es nicht, dass durch den
Frost ein Teil der im Grünkohl enthaltenen Stärke in Zucker umgewandelt wird,
sondern es kommt auf die späte Ernte an.Reifer Grünkohl enthält kaum noch Stärke,
die umgewandelt werden könnte, bildet aber weiterhin Traubenzucker. Diese
Traubenzucker-Anreicherung findet nur bei der lebenden Pflanze statt und der Frost
spielt keine Rolle. Deshalb kann der Effekt der späten Ernte nicht durch kurzes
Einlagern des geernteten Kohls in der Kühltruhe imitiert werden. Ein Schnäpschen und
ein Hoch auf die SoLawi Vierlande!!!
Vera

1 Kommentar zu „Gemüse des Monats“

  1. Hallo Vera,
    vielen Dank für deinen netten Bericht und die Aufklärung rund um den Grünkohl.
    Bei uns gibt es tatsächlich am 21.2. den im Gefrierschrank gebunkerten Solawi-Grünkohl. Und die Drillingskartoffel habe ich natürlich auch schon vom Wochenmarkt besorgt.
    Da ich schon sehr lange kein klassisches Grünkohlgericht mehr gekocht habe, ist dein Rezept für mich jetzt eine Anregung.
    Wir werden es uns morgen richtig schmecken lassen und deine Geschichte bringe ich dann auf jeden Fall auch „mit auf den Tisch“!
    Eine schöne Zeit und viele Grüße von Sigrid

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